Defizite in der „Kultur“ des Lehrens und Lernens durch Kommunikation und Diskurs überwinden

Defizite in der „Kultur“ des Lehrens und Lernens durch Kommunikation und Diskurs überwinden

Prof. Dr. Thomas Hieke aus der Katholisch-Theologischen Fakultät arbeitete sich in Moodle (JGU-LMS) und Panopto ein, um in der Kombination aus Scripten und kürzeren Videos ein asynchrones, selbstorganisiertes Lernformat für die Studierenden anzubieten. Für die Erprobung von zukünftigen Flipped Classroom Konzepten ist in seinen Augen ein „offenes Klima des ehrlichen Austauschs“ zwischen Studierenden und Lehrenden notwendig.

Als klar wurde, dass dieses Semester komplett digital ablaufen würde, was haben Sie persönlich zunächst als größtes Problem angesehen, was waren Ihre größten Bedenken?

Meine größten Bedenken waren, ob ich die Technik schnell genug erlernen werde und ob ich es zeitlich schaffen werde, mich mit hinreichender Gründlichkeit in die neuen Formate (moodle und Panopto) einarbeiten zu können. An sich war das Material für die Lehre da – nur die digitale Aufbereitung für das asynchrone Selbststudium war in keiner Weise gegeben. Eine gewisse Blockade ergab sich auch aus dem eigenen Anspruch, die Materialien nicht allzu fragmentarisch, die Videos nicht allzu unbeholfen und die Gestaltung in moodle nicht allzu stereotyp aussehen zu lassen. Gleichzeitig bohrte der Gedanke: „Wenn ich es schon mal mache, will ich es so machen, dass ich es später wiederverwenden kann.“ All das drohte das Vorankommen etwas zu lähmen.

Wie sind Sie dem begegnet? Wie haben Sie Ihre Veranstaltungen digital gestaltet? Welche Medien, Methoden oder Tools haben Sie eingesetzt, um die Studierenden zum Lernziel zu begleiten?

Aus einer schnellen Lektüre von didaktischen Empfehlungen zur Digitalen Lehre schloss ich, dass man sich vor Überforderungen hüten sollte – eigene Überforderungen und die der Studierenden. Das mit den eigenen Überforderungen bekam ich dann in den Griff: Ich schraubte meine Ansprüche herunter und auf der anderen Seite gelangen doch viele Dinge überraschend gut.

Um die Studierenden nicht zu überfordern, bin ich ganz auf asynchrone Lehre umgestiegen: Ich habe Lernmaterialien in schriftlicher Form („Skripten“) kombiniert mit kürzeren Videos über Panopto (10-20 Minuten) sowie Essayfragen. Alles habe ich auf freiwilliger Basis gestaltet. Das hatte dann folgenden Effekt: Nachdem die Studierenden gemerkt haben, dass das Material vorhanden ist und gut ist (erlauben Sie diese Selbstüberschätzung), haben sie es (vermutlich) heruntergeladen und für später gespeichert. Da ich von anderen Kolleg*innen weiß, dass sie sehr viel synchron mit Videokonferenzen gearbeitet haben und dabei auch ständig kleine Ausarbeitungen eingefordert haben (verpflichtend!), ist mir klar, dass meine „Freiwilligkeit“ dagegen keine Chance hatte. Ich hatte zu jedem Vorlesungsthema ein Forum in moodle eingerichtet, doch die Rückmeldungen tendierten gegen Null. Das war die Schattenseite meines auf Freiwilligkeit und Selbstorganisation beruhenden Lernformates. Insofern kann ich vielleicht bei den Prüfungen (und dann in vielen Fällen erst im nächsten oder übernächsten Semester) abschätzen, ob die Studierenden etwas mit meinem Material anfangen konnten oder nicht. Rückfragen in einer spontan anberaumten Videokonferenz, an der nur ein Bruchteil der Eingeschriebenen teilgenommen hat (war ja auch freiwillig), ergaben die üblichen vorsichtig zustimmenden Antworten nach Schema F („Ja, ich komme mit dem Material gut zurecht, nein, ich habe keine Fragen dazu“). Hoffen wir mal, dass es so ist.

Was haben Sie persönlich für Ihre Lehrtätigkeit mitgenommen? Welche Chance sehen Sie im nachhaltigen Einsatz von digitaler Lehre, z. B. für Studierende oder die Universität?

Ich habe technisch einiges gelernt und werde das auch im Wintersemester einsetzen. Das Modell „flipped classroom“ hat mich schon immer fasziniert, da ich die wertvolle Kontaktzeit dazu nutzen möchte, mit den Studierenden über die Inhalte, die sie sich per Lektüre und Video aneignen können,

zu sprechen bzw. die damit verbundenen Methodenkompetenzen einzuüben. Digitale Lehre kann bei der Wissensvermittlung entlastend sein und Freiräume schaffen, Anwendungen der Inhalte einzuüben bzw. Aktivitäten der Studierenden zu reflektieren (und korrigierende und ermutigende Rückmeldung zu geben).

Außerdem sehe ich die Chance, über Digitale Lehre den gesamten Stoff zur Verfügung zu stellen. Dieser Stoff ist ja nicht ausschließlich für die Prüfung da, sondern für die spätere Tätigkeit der Studierenden. In (digitaler) Kontaktzeit kann ich dann exemplarisch Einzelheiten besprechen und vertiefen. Für die Prüfung erfolgt dann eine entsprechende Absprache, dass ein bewältigbarer Anteil bzw. eben ein „Exemplum“ aus dem Stoff prüfungsrelevant ist.

Eine weitere Chance digitalisierter Lehre sehe ich darin, dass keine Vorlesungen mehr „ausfallen“ müssen, wenn ich während der Vorlesungszeit erkranke oder auf eine sehr wichtige Tagung gehen möchte. Der Stoff ist aufbereitet vorhanden. Das schafft sogar etwas mehr Zeit für die Forschung.

Welche Herausforderungen sehen Sie zum jetzigen Zeitpunkt für einen nachhaltigen Einsatz von digitaler Lehre im nächsten Semester und in der Zukunft? Was ist nötig, um diese erfolgreich zu bewältigen?

Eine rein digitale, kontaktlose Fern-Lehre hat den Nachteil, dass unmittelbare Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden entfallen und soziale Elemente des Lehren und Lernens zu kurz kommen. Insofern ist eine vernünftige Kombination aus digitalen Elementen und Präsenzlehre anzustreben – hier die rechte Balance zu finden, ist eine Herausforderung. Ihr zu begegnen, erfordert Flexibilität und die Bereitschaft zum Ausprobieren, aber auch ein offenes Klima des ehrlichen Austausches: Studierende müssen eine Atmosphäre erleben, in der sie ohne Scheu und ohne Nachteile befürchten zu müssen ihre Bedürfnisse, Fragen, Wünsche und Beschwerden äußern können. Nur mit einer kontinuierlichen Rückmeldung seitens der Studierenden und einer kontinuierlichen Bereitschaft der Lehrenden zu Veränderungen (kleineren und größeren Anpassungen) können die Lehr-Lern-Prozesse optimiert werden. Ich sehe da in der momentanen „Kultur“ des Lehrens und Lernens noch Defizite bzw. „Luft nach oben“, was den gegenseitigen Austausch über das Procedere betrifft. Damit meine ich sowohl (unbegründete?) Ängste bei Studierenden, sich zu äußern (über Defizite in der vorgelegten Lehre aber auch über eigene Defizite), als auch mangelnde Flexibilität bei den Lehrenden. Ich selbst nehme oft zu wenig die Perspektive der Studierenden ein. Zwischen meiner Selbstoptimierung als Lehrender und den Bedürfnissen der Studierenden liegen aber manchmal größere Gräben. Sie können aber nur durch Kommunikation und Diskurs überwunden werden.

Eine mehr oder weniger große Herausforderung besteht aber auch in der Technik und Logistik sowie in der Kompetenz des Umgangs mit den digitalen Medien. Schlechte Internetverbindungen, fehlende Hardware (Kamera, Headset!), unzureichende Möglichkeiten eines ruhigen Arbeitsplatzes zuhause, aber auch eine gewisse Unbeholfenheit in der Handhabung der digitalen Technik erschweren vieles, oder anders formuliert: Hier gibt es noch viel Luft nach oben für Verbesserungen.

In inhaltlicher Hinsicht ist es oft ärgerlich, dass wichtige Literatur nur als physisches Buch in der Bibliothek zur Verfügung steht – ist die Bibliothek geschlossen, kommen Lehrende und Lernende nicht an diese Wissensquellen heran. Aus meiner Sicht muss noch viel stärker als bisher auf digitale Literaturformate hingearbeitet werden. Open Access ist natürlich der beste Weg, der zweitbeste ist es, dass die Bibliothek Literatur digital für Universitätsangehörige (Lehrende und Studierende) über VPN zur Verfügung stellt. Der digitale Umbruch des Verlags- und Publikationswesens muss noch schneller vorangetrieben werden, um digitale Lehre breit aufstellen zu können.

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