Interview: Best-Practice in der Lehre

Ab sofort ist der Online-Selbstlernkurs „Boost your Learning“ von Dr. Henrik Bellhäuser (Psychologisches Institut) für Studierende der JGU im Rahmen der FORTHEM Digital Academy frei verfügbar. Das Kompetenzteam Digitale Lehre hat mit Herrn Dr. Bellhäuser gesprochen, um mehr zu erfahren.

Kurslink: FORTHEM Boost your learning

Lieber Herr Bellhäuser, was genau ist das Ziel ihres Kurses “Boost your Learning”?

„Mit unserem Kurs möchten wir Studierenden die Möglichkeit geben, ihre eigenen Lern- und Arbeitsstrategien zu verbessern. Die Universität stellt hohe Erwartungen daran, sich selbst zu organisieren, die eigenen Aufgaben zu koordinieren und zu priorisieren. Nicht zuletzt muss man sich auch selbst motivieren, was auch nicht immer leichtfällt. Viele Studierende haben mit diesen Herausforderungen große Probleme, weil sie in der Schule nicht gelernt haben, eigenständig über längere Zeiträume hinweg ein Ziel zu verfolgen. Die dazu notwendigen Kompetenzen nennen wir „selbstreguliertes Lernen“ - und das kann man glücklicherweise trainieren und erlernen.“

Erklären Sie uns doch bitte kurz, welcher wissenschaftliche Hintergrund den Kurs ausmacht?

„Die Forschung zum selbstregulierten Lernen gibt es schon seit mindestens 30 Jahren, aber sie nimmt immer mehr an Bedeutung zu - nicht zuletzt seitdem die Pandemie dazu geführt hat, dass die Studierenden noch weniger Unterstützung und Begleitung erlebt haben. Eine Kernaussage der Forschung ist dabei, dass Lernen ein Prozess ist, der sich in drei Phasen unterteilen lässt: In der präaktionalen Phase setzt man sich Ziele, macht einen Lernplan und versucht sich zu motivieren. In der aktionalen Phase findet das „eigentliche“ Lernen statt. Dabei ist es wichtig, die richtigen, empirisch bewährten Lernstrategien einzusetzen und sich kritisch selbst zu beobachten, ob man gerade wirklich versteht, was man liest. In der postaktionalen Phase schließlich sollte man reflektieren, ob man mit dem heutigen Lerntag zufrieden ist und ob man morgen eventuell etwas anders machen möchte. Und wie wir aus Tagebuchstudien wissen, beeinflusst meine heutige Zufriedenheit massiv, wie erfolgreich mein morgiger Lerntag verläuft.

Die Fähigkeit selbstreguliert zu lernen ist laut mehrerer Meta-Analysen eindeutig mit besseren Leistungen und höherer Zufriedenheit im Studium assoziiert und kann durch Übung verbessert werden - man muss also nicht mit besonderem Talent geboren sein!

Der Kurs „Boost your Learning“ basiert auf einem Online-Training, das ich im Rahmen meiner Promotion an der TU Darmstadt entwickelt habe und das nun vom Zentrum für audiovisuelle Produktion ZAP mit neueren Medien gestalterisch aufgewertet wurde. Mehrere empirische Studien aus meiner Dissertation haben die Wirksamkeit des Trainings dokumentiert: Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe waren die Teilnehmenden nach dem Training motivierter, haben bessere Lernstrategien eingesetzt und hatten anschließend mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.“

Welche Erfahrungen habe Sie mit dem Einsatz des Kurses in ihrer Lehre gemacht?

„Viele Studierende gehen unsystematisch an den Lernprozess heran, sind überfordert mit der Vielzahl unterschiedlicher paralleler Aufgaben, verzetteln sich zum Beispiel bei der Literaturrecherche oder beginnen deutlich zu spät mit Klausurvorbereitungen. Meiner Erfahrung nach kann der Kurs dabei helfen, diese Probleme einzudämmen. Die Teilnehmenden schildern mir immer wieder, dass sie hier zum ersten Mal einen Überblick bekommen, wie man eigentlich richtig lernt und bedauern oft, dass man ihnen das noch nicht zu Schulzeiten beigebracht hat.

Daher eignet sich der Kurs in meinen Augen insbesondere für Studierende, die noch relativ neu an der Universität sind - je länger sich schlechte Gewohnheiten etablieren, wie zum Beispiel das berühmte „Bulimie-Lernen“, umso schwieriger wird es später, diese noch in den Griff zu bekommen. Ich plädiere daher dafür, den Kurs direkt im ersten oder zweiten Semester zu belegen.“

Warum empfehlen Sie, den Online-Kurs an eine konkrete Veranstaltung gekoppelt anzubieten?

„Wenn wir unseren Kurs als freiwilliges Zusatzangebot anbieten, beobachten wir häufig den sogenannten „Matthäus-Effekt“: Wer hat, dem wird gegeben. Das bedeutet, dass sich viele Studierende in den Kurs einschreiben, die schon relativ gute Selbstregulationsfähigkeiten haben. Auch diese Studierenden können sicherlich noch das ein oder andere von dem Kurs lernen - aber diejenigen, die das Training am dringendsten benötigen würden und die daher unsere eigentliche Zielgruppe sind, erreichen wir selten, denn sie erkennen vielleicht gar nicht selbst die Relevanz oder schaffen es nicht, sich in ihrer Freizeit selbst dazu zu motivieren, Zeit zu investieren, um an ihren Lernstrategien zu arbeiten.

Daher ist es sinnvoll, den Kurs an eine bestehende, verpflichtende Lehrveranstaltung zu koppeln, die möglichst zu Beginn des Studiums liegt. So kann man dann auch die teilweise vielleicht etwas abstrakten Strategien, wie zum Beispiel die Zielsetzung nach dem SMART-Prinzip, direkt auf konkrete Lerninhalte anwenden. Außerdem macht es mehr Spaß, das Training zu bearbeiten, wenn man sich anschließend mit den Kommiliton*innen darüber unterhalten kann, welche von den Strategie-Tipps sich im Alltag am besten bewährt haben.

Dozierende, die sich von der geschilderten Problematik bei ihren Studierenden angesprochen fühlen, können sich gerne bei mir melden unter bellhaeuser@uni-mainz.de, um im gemeinsamen Gespräch eine passende Lösung für die jeweilige Lehrveranstaltung zu entwickeln.“

Vielen Dank für das Interview!