Balanceakt zwischen Anleitung und Freiheit im virtuellen Lernraum
Nina Heydt vom Obama Institute for Transnational American Studies hat ihre Übung zu Repräsentationen des amerikanischen Strafvollzugsystems für das Sommersemester digitalisiert. Dazu hat sie im JGU-LMS einen virtuellen Lernraum für interaktives, diskursives Arbeiten geschaffen. Wir sprechen darüber, wie die Vorbereitung, Durchführung und Prüfung der Veranstaltung ausgesehen hat und über Chancen und Herausforderungen der digitalen Lehre allgemein.
Als klar wurde, dass dieses Semester komplett digital ablaufen würde, was haben Sie persönlich zunächst als größtes Problem angesehen, was waren Ihre größten Bedenken?
Ich habe im Sommersemester 2020 eine kulturwissenschaftliche Übung zu populärkulturellen Repräsentationen des amerikanischen Strafvollzugsystems unterrichtet. Diese Kurstypen leben normalerweise vom Präsenzunterricht und die Basis jeder Sitzung ist die interaktive Auseinandersetzung mit den ausgewählten thematischen Beispielen. Im gegenseitigen Austausch erarbeiten wir die Kernaspekte der für den Tag angesetzten Quellen und wechseln so von knappen Impulsvorträgen und einleitenden bzw. überleitenden Worten zu, zum Beispiel, Gruppenarbeiten oder Plenumsdiskussionen.
Als bekannt wurde, dass das SoSe komplett online stattfinden würde, sah ich die Umsetzung meiner interaktiven Unterrichtsweise ins Digitale als größte Herausforderung an. Zusätzlich hatte ich Bedenken, ob den Studierenden in gleichem Maße wie sonst bewusst werden würde, wie viel jede Stimme und jeder Beitrag in einer solchen Art Übung zählen und ob trotz der von mir gewählten asynchronen Variante des Onlineunterrichts eine produktive und dynamische Zusammenarbeit zustande kommen könnte.
Wie sind Sie dem begegnet? Wie haben Sie Ihre Veranstaltungen digital gestaltet? Welche Medien, Methoden oder Tools haben Sie eingesetzt, um die Studierenden zum Lernziel zu begleiten?
In der Vorbereitungszeit auf das neue Lehrformat habe ich mich verstärkt mit der Lernplattform Moodle auseinandergesetzt und entschieden, dass die dort angebotenen Funktionen am sinnvollsten für meinen Kurstyp sind. Ziel war es, meinen Studierenden zu gleichen Teilen Anleitung und Freiheit in der Bearbeitungszeit der Kursinhalte zu verschaffen.
Durch die verschiedenen Features, wie zum Beispiel das Feedbacktool und die Diskussionsforen, wollte ich die sonst an den Tag gelegte Interaktivität imitieren und so im ständigen Austausch mit den Studierenden stehen können. Durch die multimediale Grundeigenschaft meines Kursthemas und -typs konnte ich leicht, zum Beispiel, Screenshots auf Moodle posten und diese mit gezielten oder offenen Fragen analysieren lassen; alles beinahe so, wie ich es auch für einen Präsenzkurs geplant hätte, nur eben mit verzögerter Bearbeitungszeit.
Die verwendeten Primärwerke kamen aus unterschiedlichen Genres: TV-Serien, Netflix-Produktionen, Romane, Autobiographien, aktuelle Nachrichten/Berichte und ähnliches. In jeder Sitzung war es mir wichtig, Bezüge zu aktuellen, historischen, politischen, kulturellen und medialen Ereignissen herzustellen. Zur Unterstützung der Analyse habe ich verallgemeinerte Leitfragen bereits in die Kursübersicht eingebaut und später dann auf die jeweiligen Primärquellen angepasst.
Als zusätzliche Unterstützung habe ich auf bewährte PowerPoint-Präsentationen zurückgegriffen und darin Fragestellungen, inhaltliche Übersichten und Kritik oder Problematiken angedeutet. Wichtige Kerninhalte sollten so von Studierenden nachvollzogen und erschlossen werden können.
Jede Sitzung hatte eine ihr zugeordnete Primärquelle, der außerdem ein theoretischer Ansatz beigefügt wurde. Diese Ansätze ließen sich unter den Primärquellen beliebig austauschen oder gar kombinieren, was viele Studierende in ihren Take-Home-Essays als Abschlussklausur auch erfreulicherweise taten.
Inhaltlich bietet es sich auch an, die Untersuchung der Darstellungen des Strafrechtsystems in drei Abschnitte zu unterteilen, sodass alle drei bis vier Wochen von Schwerpunkt zu Schwerpunkt weitergezogen werden konnte. Um den Wechsel zu signalisieren und die Studierenden bei der Verfestigung des Materials zu unterstützen, habe ich jeden Baustein mit einem verpflichtenden Multiple-Choice-Quiz (10 Minuten) abschließen lassen. So konnte ich sichergehen, dass alle Studierenden zumindest an den drei Terminen „bestätigen“ können, dass Sie noch aktiv am Kurs teilnehmen. Die Fragen waren auf Kernideen und -inhalte des Kurses abgestimmt und von mir als Voraussetzung für den Einstieg in die nächste, auf bereits gelernten Inhalten aufbauende thematische Säule gesehen. Erfreulicherweise wurden alle Quizze erfolgreich abgelegt.
Was haben Sie persönlich für Ihre Lehrtätigkeit mitgenommen? Welche Chance sehen Sie im nachhaltigen Einsatz von digitaler Lehre, z. B. für Studierende oder die Universität?
Ich nehme für mich persönlich mit, dass die Inhalte in Zukunft, im Vergleich zu meinem ersten digitalen Semester, noch präziser und komprimierter formuliert werden müssen. Viele Fragen, die ich sonst im Präsenzunterricht beigesteuert und somit im Plenum zur Diskussion gestellt hätte, werde ich nun noch detaillierter in den PowerPoint-Präsentationen ausarbeiten. Zugleich muss ich lernen darauf zu achten, den Arbeitsaufwand noch mehr anzupassen, wie ich es bereits nach den ersten Wochen im SoSe nach Rückmeldungen einiger Studierenden tat. Ich hatte bis dahin den Zeitaufwand des Selbststudiums unterschätzt. Die asynchrone Aufstellung des Sommers hat mir grundsätzlich mehr Luft gegeben, das ungewöhnliche Semester in dieser akuten Ausnahmesituation anzugehen und in die Arbeit im Home Office zu integrieren. Lediglich die drei Quizze mussten jeweils an einem bestimmten (ab der ersten Stunde ersichtlichen) Termin online absolviert werden um zur Abschlussklausur zugelassen zu werden. Bis auf ein paar Wenige blieben alle am Ball und jede*r, der/die die Abschlussklausur einreichte, konnte durchaus mit seinem angeeigneten Wissen zum Kursthema und einer überzeugenden Darstellung des Gelernten punkten. Das deute ich als durchweg positives Zeichen für die Lernqualität seitens der Studierenden.
Welche Herausforderungen sehen Sie zum jetzigen Zeitpunkt für einen nachhaltigen Einsatz von digitaler Lehre im nächsten Semester und in der Zukunft? Was ist nötig, um diese erfolgreich zu bewältigen?
Über die Moodle-Feedbackoption habe ich mir zu Beginn eine Übersicht von Erwartungen der Studierenden eingeholt und zum Ende des SoSe 2020 habe ich ein längeres Feedback zu Kursthemen, -struktur und -durchführung erbeten und freiwillig sowie anonym ausfüllen lassen. Diese Rückmeldungen nehme ich mir natürlich zu Herzen und ziehe folgende Schlüsse fürs kommende, wieder asynchron und digital unterrichtete Semester: Die Herausforderung wird sein, im kommenden Wintersemester die angeregten Änderungen so umzusetzen, dass inhaltlich nichts verloren geht und dabei gleichzeitig, zum Beispiel, den Lesestoff so anzupassen, dass die Studierenden sich mehr Zeit für tiefergehende Analysen nehmen können. Somit trauen sich vielleicht noch mehr Studierende regelmäßig an den wöchentlichen Übungen, Fragestellungen und Diskussionsrunden teilzunehmen. Dies waren unter anderem angegebene Wünsche für Änderungen an der Kursplanung und -durchführung, die mir natürlich erst im Prozess und durch das erhaltene Feedback bewusst werden konnten.